Schramberger Auswärts

Menschlichkeit zählt an Istanbuler Klinik
Maren Fahrner: Ärztin in der Notaufnahme


Der Morgen kommt, die Nachtschicht geht zu Ende. Hinter der Ärztin Maren Fahrner liegt eine anstrengende Nacht. Sie arbeitet seit März 2012 in Istanbul am österreichischen Krankenhaus in der Notaufnahme. „Das ist schon spannend, weil unser Stadtteil Beyolu ganz bunt ist. Es hat wohlhabendere und auch sehr arme Viertel.“ So sieht die ehemalige Schrambergerin ganz unterschiedliche Patienten, von ganz arm bis reich.

Maren Fahrner arbeitet meist in der Nachtschicht. Die beginnt um 16.30 Uhr und dauert bis 8 Uhr morgens. Und eine solche Nacht kann es in sich haben: „Von Magenschmerzen bis Messerstecherei, ich habe schon wilde Sachen erlebt“, erzählt sie. Fügt aber auch gleich an: „Wir haben schon mal eine Pause und sitzen bei den Krankenschwestern, trinken Tee, wenn es ruhiger ist.“

Seit 2012 ist die ehemalige Schrambergerin in der Notaufnahme am österreichischen Krankenhaus Istanbul tätig.
Seit 2012 ist die ehemalige Schrambergerin in der Notaufnahme am österreichischen Krankenhaus Istanbul tätig.

Das Krankenhaus, in dem Maren Fahrner gerade ihre Schicht beendet, heißt auf Türkisch „Özel Avusturya Sen Jorj Hastanesi“, zu Deutsch „Privates Österreichisches St. Georgs Krankenhaus“. Wie kommt ein österreichisches Krankenhaus, das nach dem Heiligen Georg benannt ist, an den Bosporus? Die Frage musste die Ärztin schon häufiger beantworten: „Das Krankenhaus haben die Barmherzigen Schwestern aus Graz im Jahr 1872 gegründet. Damals gab es eine Cholera-Epidemie, und Sultan Abdülaziz bat die Europäer und Amerikaner um Hilfe.“ So entstanden ein österreichisches, ein deutsches, ein italienisches, ein französisches und ein amerikanisches Krankenhaus in Istanbul. „Aber das einzige, das heute noch unter der Leitung der Gründer steht, ist unseres.“

Die Barmherzigen Schwestern sind eine Ordensgemeinschaft, deren Nonnen sich als „Dienerinnen der Armen“ verstehen. Früher waren etwa 100 Grazer Schwestern in Istanbul tätig, heute sind es noch neun. Ein katholisches Kran kenhaus in einem muslimischen Land – für Maren Fahrner, die selbst evangelisch ist, eine spannende Angelegenheit. „Im Team und im Krankenhaus herrscht eine ganz tolle Atmosphäre, wir können hier sehr gut zusammenarbeiten.“ Was zählt ist nicht die Religionszugehörigkeit, sondern die Menschlichkeit.

Die Ärztin vor der Klinik in Istanbul.
Die Ärztin vor der Klinik in Istanbul.

Dass sie eines Tages an einem solch ungewöhnlichen Ort praktizieren wird, hat sich die 39-jährige Schrambergerin wohl auch nicht träumen lassen. Aufgewachsen in Sulgen, Vater Hans-Jörg ist Lehrer an den beruflichen Schulen und Stadtrat, Mutter Erika Krankenschwester. Nach der Grundschule am Kirchplatz wechselt Maren auf die Realschule und später auf das sozialpädagogische Gymnasium in Königsfeld. Nach dem Abitur macht sie in Stuttgart eine Ausbildung als Krankenschwester, studiert dann Medizin in München – zuerst an der Ludwig-Maximilians-Universität, dann bis zum Examen 2010 an der technischen Universität. Für ihre Promotion arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Neurologie am Klinikum Rechts der Isar.

Dass sie nach Istanbul gegangen ist, hat mit ihrem „Praktischen Jahr“ nach dem Studium zu tun: „Ein Tertial war ich in Istanbul am Universitätsklinikum. Da hat es mir schon gut gefallen“, erzählt sie. Und fügt an: „Da habe ich auch meinen Partner kennen gelernt.“ Zunächst jedoch kehrt Maren Fahrner nach München zurück. Als sie alle Prüfungen und die Doktorarbeit fertiggestellt hat, hält sie nichts mehr in Deutschland. Sie sucht eine Stelle in Istanbul und findet sie bei den barmherzigen Schwestern.

Zwischen Orient und Okzident: Maren Fahrner lebt in der Stadt am Bosporus. // © derege - stock.adobe.com
Zwischen Orient und Okzident: Maren Fahrner lebt in der Stadt am Bosporus.

Natürlich klappte es mit der türkischen Sprache nicht auf Anhieb. „Aber die Patienten waren ganz arg nett“, erinnert sich die 39-Jährige. Inzwischen kommt sie auch sprachlich sehr gut zurecht. Mit ihrem Lebensgefährten wohnt sie in Galata, einem Stadtbezirk bei dem berühmten Galataturm. Hierher kommen viele Touristen. „Wir haben viele winkelige Gässchen mit tollen Gebäuden. Ein schönes Stadtviertel mitten im Herzen des europäischen Zentrums von Istanbul“. Natürlich hat Maren Fahrner die turbulenten Zeiten mitbekommen, aber im Krankenhaus bei der Arbeit spürt sie davon nichts. Sie selbst hält sich aus Politik ganz raus.

Ihr Partner ist Künstler, deshalb sind die beiden in ihrer Freizeit oft in der Künstlerszene unterwegs, besuchen Ausstellungen, Künstlerfreunde oder Konzerte. Sport und Hobbies, dafür bleibt kaum Zeit, meint Maren Fahrner, überlegt kurz. „Unser Cockerspaniel Dino ist eigentlich mein Hobby“ erzählt sie lachend. Sie haben sich immer schon einen Hund gewünscht und dann hätten sie spontan beschlossen, „wir schauen uns mal Hunde an, einfach so aus Interesse. Und dann haben wir den Dino sofort mitgenommen.“

Maren mit ihrem LebenspartnerMaren Fahrner und Cockerspaniel Dino
Maren Fahrner mit ihrem Lebenspartner (Bild links) und Cockerspaniel Dino.

Zurück ins St. Georgs-Krankenhaus. Das Haus ist für deutsche Begriffe winzig, hat gerade so um die 50 Betten, bietet aber ein ganz breites Behandlungsspektrum. „Wir haben eine große Poliklinik, haben Innere, Chirurgie, Neurologie, Orthopädie, Augenheilkunde, Gynäkologie, es ist alles vertreten.“ Sogar ein Zahnarzt praktiziert dort. Nach der Arbeit an einem riesigen Krankenhaus wie dem in München war das sicher eine große Umstellung? Schon, aber für Maren Fahrner war klar: „Eine Uni-Karriere, das ist mir zu groß, da pass‘ ich nicht rein.“ Gerade die überschaubare Größe und der religiöse Hintergrund täten ihr gut. Auch dass die Schwestern Flüchtlingen helfen, freut sie.

Entgegen der Erwartungen sind nur wenige Österreicher oder Deutsche unter den Patienten. Dafür kommen türkische Patienten zum Teil mit ihren großen Familien. „Wenn so viele Leute im Zimmer sind, damit muss man erst mal klarkommen.“ Maren Fahrner hatte auch schon kuriose Erlebnisse. Etwa als eine Patientin nach einer Rheumaprophylaxe mit Blutegeln auf dem Rücken ins Krankenhaus kam. „Was heißt Blutegel auf Türkisch?“

Nach den langen Schichten helfen Spaziergänge mit Dino zur Entspannung. Auch eine Fahrt mit einer der vielen Fähren auf die andere Seite des Bosporus sei ein Istanbuler Entspannungsrezept, verrät Fahrner: „Das schafft einen guten Ausgleich zu dem turbulenten Leben, wenn man einfach mal auf der Fähre sitzt und kurz abschalten kann. Die Möwen fliegen ganz nah ran. Da ist man eine halbe Stunde weg.“

Besuch aus der Heimat: Vater Hans-Jörg und Mutter Erika, im Hintergrund die „Blaue Moschee“.
Besuch aus der Heimat: Vater Hans-Jörg und Mutter Erika, im Hintergrund die „Blaue Moschee“.

Vermisst sie Deutschland, den Schwarzwald, Schramberg? Nicht wirklich. Klar, sie kommt um die Weihnachtszeit auf Familien besuch und trifft Freunde in der Majolika. Andererseits sei sie im Krankenhaus und in Istanbul sehr gut aufgenommen worden. „Ich habe als Ausländerin nie schlechte Erfahrungen gemacht.“ Deshalb könne sie es sich nicht vorstellen, weg zu gehen. „Wenn es beruflich passt und das Privatleben stimmt, dann kann man auch vieles außen herum vergessen.“