Schramberger Auswärts

Als Polizist und im VfB-Stadion ganz oben
Jörg Schiebe leitet eines der größten Reviere


„Ich habe einen der schönsten Plätze im Stadion“, schwärmt Polizeidirektor Jörg Schiebe. „Die Polizeikanzel befindet sich direkt gegenüber den VIP-Logen.“ Für den bekennenden VfB-Fan ist das natürlich ein besonderes Gutsle, das seinen Job als Leiter des Polizeireviers 6 Bad Cannstatt versüßt.

Jörg Schiebe, bekennender VfB-Fan, an seinem Arbeitsplatz.
Jörg Schiebe, bekennender VfB-Fan, an seinem Arbeitsplatz.

Dass er eines Tages so hoch aufsteigen wird, in der Polizeihierarchie und im Stadion, war am Beginn seiner Karriere nicht abzusehen. Schiebe, in Schramberg geboren und in Aichhalden aufgewachsen, hat die Ochsentour absolviert, 36 Dienstjahre hinter sich. Mit 17 Jahren begann er 1982 bei der Bereitschaftspolizei in Lahr. Nach der Ausbildung in der Einheitslaufbahn kam er zur Einsatzhundertschaft nach Göppingen und später nach Stuttgart. Dort ist er geblieben, zunächst nicht ganz freiwillig. Denn wie vielen seiner Kollegen war auch ihm der Rückweg in die Heimat versperrt.

Aufgrund des großen Personalbedarfs in den Großstädten werden die jungen Polizeibeamten dort längere Zeit gehalten. Stichwort Versetzungssperren. „Die gab es damals, die gibt’s mittlerweile wieder“, so Schiebe. Anders als in anderen Berufen ziehe es die Polizeibeamten eher aufs Land. Natürlich haben die Beamten in einem Revier wie in Schramberg auch viel zu tun. Aber die Masse der Fälle, die die Polizei in Stuttgart mit 600.000 Einwohnern, weiteren 400.000 Bewohnern im Großraum und vielen tausend Pendlern bearbeiten müsse führe dazu, „dass man da mehr Personal braucht, um allem, was da kommt, auch Herr zu werden“. Eine Zahl macht das deutlich: Pro Jahr finden in Stuttgart etwa 1500 Demonstrationen statt.

Eines der größten Polizeireviere

Seit einigen Monaten leitet Schiebe das Cannstatter Revier, das mit mehr als 150 Mitarbeitern eines der größten in Baden-Württemberg ist. Das hat mehrere Gründe: Nicht nur die Mercedes-Benz-Arena gehört zum Revierbereich. Auch der Cannstatter Wasen mit Großkonzerten, zu denen bis zu 70.000 Menschen strömen, ist Teil des Reviers. Das Stuttgarter Frühlingsfest zieht 2,5 Millionen Besucher an und der „Wasen“ im Herbst vier Millionen. „Das ist natürlich ein riesiger Aufwand, den man da treiben muss.“ Und dafür braucht es viele Leute.

Ob bei Spielen des VfB Stuttgart oder auf dem Cannstatter Wasen: Die Polizisten aus dem Revier von Jörg Schiebe sind immer gefordert.Ob bei Spielen des VfB Stuttgart oder auf dem Cannstatter Wasen: Die Polizisten aus dem Revier von Jörg Schiebe sind immer gefordert.
Ob bei Spielen des VfB Stuttgart oder auf dem Cannstatter Wasen: Die Polizisten aus dem Revier von Jörg Schiebe sind immer gefordert.

Dass Jörg Schiebe zur Polizei gehen will, weiß er schon ganz früh. Das behütete Aufwachsen auf dem Land prägte sein Grundverständnis von unserer Gesellschaftsordnung. Ihm war und ist besonders wichtig, diese freiheitlich-demokratische Grundordnung zu schützen. Als Polizist sei man eben derjenige, dem diese Aufgabe zukomme. Schiebes Demokratieverständnis wird deutlich am Beispiel der vielen Demos, bei denen er den Polizeieinsatz geleitet hat. Ganz gleich welche politischen, religiösen oder thematischen Ausrichtungen diese Demonstrationen verfolgen, es müsse sichergestellt sein, dass im Rahmen der gesetzlichen Ordnung die Versammlungen und die demonstrierenden Parteien geschützt würden. „Damit ein jeder gehört wird und frei seine Meinung äußern kann“, sagt der Polizeidirektor.

Jörg Schiebe ist in Aichhalden aufgewachsen, wechselte nach der Grundschule auf das Schramberger Gymnasium. Neben Badminton, zu dem ihn sein damaliger Sportlehrer gebracht hat, begeistert er sich für den Schießsport. Er ist bis heute Mitglied der Schramberger Schützengesellschaft. Zwei Jahre vor dem Abi schert er aus und geht zur Polizei. An den Lehrern hat der abrupte Abgang nicht gelegen: „Wir hatten gute Lehrer, die unheimlich engagiert waren“, erinnert sich Schiebe. „Und ich war auch in einer tollen Klasse.“ Doch der Drang, zur Polizei zu gehen, ist für den 17-Jährigen stärker.

Dem Schießsport bleibt er während der Ausbildung und später treu. Bis heute informiert er sich über das Vereinsgeschehen bei den Schützen in Schramberg. „Aber ich komme natürlich nur noch sehr selten zu Veranstaltungen der Schützengesellschaft vorbei.“ Zu seinen Schulkameraden hat er den Kontakt ebenfalls weitgehend verloren, wie er bedauert. Damals habe es eben weder WhatsApp noch Smartphones gegeben, um in Verbindung zu bleiben.

Freie Zeit mit der Familie

Sport treibt Schiebe immer noch: Schwimmen, Laufen, Radfahren. Aber nicht mehr in Vereinen, dafür bleibe bei einem „normalen Zehn-Stunden-Tag“ und bei Veranstaltungen mit Sondereinsätzen am Wochenende keine Zeit. Die wenige freie Zeit versuchte er mit seiner Familie im Remstal zu verbringen. Vor 20 Jahren hat es Schiebe und seine Frau wieder aufs Land gezogen, nach zehn Jahren mitten in Stuttgart. „In der Stadt zu wohnen war irgendwann doch sehr anstrengend“, bekennt er. Nun ist er froh, mit seiner Frau und den beiden Söhnen in einer Kleinstadt, ähnlich wie in Schramberg, zu leben. „So ein Umfeld bringt für unsere Familie viel Lebensqualität.“

Diesen Ausgleich braucht der „Polizeibeamte aus Überzeugung“, denn der Dienst ist vielseitig, aber auch anstrengend. Seine Arbeit bedinge, dass er mit vielen höchst unterschiedlichen Menschen zusammenkomme. Dazu zählen nicht nur Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft, sondern eben auch Menschen am anderen Ende der gesellschaftlichen Rangordnung. „Beispielsweise war ich unlängst bei einem Runden Tisch, wo es um die Versorgung von Wohnsitzlosen ging. So wird man täglich auch mit existenziellen Problemen armer Menschen konfrontiert“, meint Schiebe nachdenklich. Polizist sei auch ein Sozialberuf. „Oftmals sind wir die letzte Auffangstation, zu der Menschen kommen, die einfach mal am Telefon oder persönlich jemanden zum Reden brauchen.“

Der gebürtige Schramberger Jörg Schiebe ist Leiter des Polizeireviers in Bad Cannstatt.
Der gebürtige Schramberger Jörg Schiebe ist Leiter des Polizeireviers in Bad Cannstatt.

Mit 53 Jahren ist Schiebe schon sehr weit oben auf der Karriereleiter der Polizei angekommen. Es gebe von den 25.000 Polizeibeamten im Land schätzungsweise noch 200 ranghöhere. „Da wird es schwierig weiter zu kommen.“ Im Moment stehe das aber gar nicht an. Denn das, was der gebürtige Schramberger derzeit macht, ist genau das, was er immer schon wollte: Nahe bei seinen Beamten, nahe bei den Menschen.

Bei Verbrechen als erste vor Ort

Vieles bei der Polizei ist planbar, die Einsätze bei Konzerten, Demos oder Staatsbesuchern. Doch dann passieren Verbrechen – und auch da sind die Beamten aus Schiebes Revier gefordert. Sie sind meist die ersten am Tatort. Ihre Grundlagenarbeit sei entscheidend, so Schiebe. Bis die Kripo kommt, übernehmen die Kollegen der Schutzpolizei die Tatortarbeit: „Ganz wichtig ist, dass man saubere Grundlagen hat und die richtigen Dinge ermittelt, nichts vergisst oder Spuren vernichtet.“ Die Beamten der Schutzpolizei arbeiten eng mit den Kollegen der Kripo zusammen – nicht in der Rolle des „uniformierten Kaffeeholers“, wie es in manchen Fernsehkrimis dargestellt werde.

Zurück zur Mercedes-Benz-Arena: Klar, dass Polizeidirektor Schiebe nicht mehr direkt am Absperrgitter steht, nach Bengalos sucht oder betrunkene Hooligans einsammelt. Aber in der Polizeikanzel hält es ihn nicht lange: Er ist meist zu Fuß im und ums Stadion unterwegs. „Ich schau‘ nach meinen Einsatzkräften, schau‘ wie sieht‘s im Gästebereich, im Heimbereich aus, auf den Anfahrtswegen.“ Er macht sich gerne sein eigenes Bild und kommuniziert ständig mit seinen Einsatzkräften, mit den Verantwortlichen im Verein und den anderen Ordnungsdiensten.

Spezialeinsatzkräfte sorgen bei Großveranstaltungen wie Fußballspielen für die Sicherheit der Besucher.Bei Großeinsätzen der Polizei kommen auch Reiterstaffeln und Spezialfahrzeuge zum Einsatz.
Bei Großeinsätzen der Polizei kommen auch Spezialeinsatzkräfte, Reiterstaffeln und Spezialfahrzeuge zum Einsatz und sorgen für die Sicherheit der Besucher.

„Ich war schon immer einer, der gern vor Ort ist und nicht nur irgendwo auf den Bildschirm schaut.“ Zwischendurch gibt es mal etwas Ruhe und er kann sich in der Polizeikanzel aufhalten. „Aber das Spiel selbst kann man natürlich nicht genießen.“ Von einem Fußballspiel, bei dem er den Einsatz leite, bekomme er vielleicht 20 Minuten mit, erzählt Schiebe. Da ging es ihm in dieser Saison fast besser als den VfB-Fans. Die mussten 90 Minuten gucken.